IMAGINATION UND AUGENSCHEIN

Ein leerer, dunkler Raum. Der Schriftsteller Ilija Trojanow beschreibt eine unsichtbare Fotografie. Während wir zuhören, entsteht das Bild in uns. Wir hören von einer hohen Mauer und stellen uns eine hohe Mauer vor. Wir hören von einem Klassenzimmer und in uns bildet sich der Raum, möbliert mit den Bänken und der grünen Tafel aus unserer Erinnerung. Es riecht nach Kreide. Ein Kind sieht jenem Nachbarsmädchen ähnlich, das drei Häuser weiter oben an der Straße wohnte.
Dann wird das Foto eingeblendet und wir schauen auf drei Bilder: das Bild in uns, das Bild, wie es der Dichter sieht, und die Fotografie, wie sie jetzt vor unseren Augen steht. Ein Schau-Spiel über das Wahrnehmen. Staunend, vielleicht auch mit leisem Schrecken, müssen wir erkennen, wie sehr Wand und Klassenzimmer abweichen von dem unabweisbaren Dokument der Fotografie. Eine verblüffende Lektion über etwas, das wir doch alle wissen, aber im politischen Diskurs so schnell verloren zu gehen scheint: Es gibt so viele Wirklichkeiten, wie es Wahr- nehmende gibt. Wir sehen dasselbe und konstruieren es anders. Was uns als Gesellschaft hilft, ist, darüber informiert zu sein.
Video-Installation Hans-Joachim Gögl / Ilija Trojanow:
Making-Of der Ausstellung:
Format: Hans-Joachim Gögl
Fotografie: Gerti Deutsch (1908 – 1979)
Text: Ilija Trojanow. Es liest der Autor.
Eine Installation für die Reihe INN SITU im BTV Stadtforum Innsbruck, Frühjahr 2025